Bei der Sammlung Arnold Budczies mit 282 Graphikblättern von Edvard Munch, in der sich auch viele frühe Handdrucke befinden, handelt es sich um die letzte der grossen Privatsammlungen aus der Zwischenkriegszeit. Nun wird sie aufgelöst.
Als sich Edvard Munch im Spätherbst 1894 der Druckgraphik zuwandte, geschah dies sicherlich in der Hoffnung, dass sich Drucke leichter verkaufen liessen als Gemälde. Denn obwohl seine Gemälde häufig gezeigt wurden und beachtliche Aufmerksamkeit erregten, konnte er davon kaum etwas verkaufen. Um als Künstler seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste sich Munch also etwas einfallen lassen, da er weder aus wohlhabendem Hause stammte, noch er einen Beruf gelernt hatte, auf den er zurückgreifen konnte. Seine ersten Versuche in der Druckgraphik fanden im Kreis der neu gegründeten deutschen Zeitschrift PAN viel Beifall. Einer der Gründer der Zeitschrift, Eberhardt von Bodenhausen, schrieb Munch, dass der Tiefdruck sein eigentliches Medium zu sein schiene und er mit ein wenig mehr technischem Geschick sicher ein gutes Einkommen erzielen würde. Im Juni des folgenden Jahres veröffentlichte der damalige Herausgeber der Zeitschrift, Julius Meier-Graefe, eine kleine Mappe mit acht Tiefdrucken von Munch. Graefe beklagte sich allerdings wiederholt über den schleppenden Verkauf der Mappe, und man muss davon ausgehen, dass sie kein grosser finanzieller Erfolg war. In den nächsten Jahren erkundete Munch mit grossem Eifer die Möglichkeiten der verschiedenen graphischen Verfahren. So fertigte er von 1896 bis 1897 in Paris mehrfarbige Drucke im Tiefdruck, in der Lithographie und im Holzschnitt. Nach wie vor stellte die Druckgraphik für ihn jedoch eher einen Kostenfaktor als eine Einnahmequelle dar.
Nach seiner Rückkehr nach Berlin im Jahr 1901 lernte Munch drei Männer kennen, die wesentlich zu seinem Erfolg als Graphiker beitragen sollten: Kollmann, Linde und Schiefler. Der Mystiker und Kunstliebhaber Albert Kollmann war sehr an Munchs Kunst interessiert und vermittelte in den folgenden Jahren zahlreiche Verkäufe und Aufträge für den Künstler. Eine seiner ersten Aktivitäten bestand darin, den Kunstsammler Max Linde, der bereits einige Gemälde Munchs in seine Sammlung französischer Kunst integriert hatte, davon zu überzeugen, eine Sammlung von Munchs Druckgraphik zu erwerben. Linde beauftragte Munch zudem mit einer Mappe von Porträts seiner Familie und Darstellungen seines Landsitzes in Lübeck. Der Hamburger Richter und Kunstsammler Gustav Schiefler, der Linde besuchte, war von Munchs Drucken so beeindruckt, dass er beschloss, einen Katalog davon zu erstellen. Dieser erschien 1907 und umfasst 247 Motive. Lange stelle er das wichtigste, ja einzigige Nachschlagewerk zu Munchs Graphiken dar.
Um sich bei der Bewerbung und dem Verkauf seiner Graphiken unterstützen zu lassen, schloss Munch 1904 einen Dreijahresvertrag mit dem Kunsthändler und Verleger Bruno Cassirer ab. Munch war jedoch mit Cassirers Bemühungen nicht zufrieden. Als sich am Ende der Vertragslaufzeit herausstellte, dass Munch Cassirer mehr als 1000 Mark schuldete, musste er eine Möglichkeit finden, die Zahlung zu leisten, um eine Verlängerung des Vertrags zu umgehen. Der in Stockholm ansässige Ernest Thiel kam Munch zu Hilfe. Er erklärte sich bereit, ihm im Tausch gegen Abzüge Geld zu schicken. Thiel reiste nach Lübeck, um dort Lindes Sammlung zu studieren. Das Gleiche tat der Norweger Rasmus Meyer, den Munch zum Kauf einer grösseren Sammlung von Drucken überzeugen konnte.
Munch benutzte bei der Beschreibung von Thiels und Meyers Sammlungen das Wort «vollständig». In einem Brief an Munch betonte Kollmann, dass Curt Glaser, der damalige Kurator des Berliner Kupferstichkabinetts, beabsichtigte, die Sammlung von Munch-Drucken zu vervollständigen. Zudem trug Glaser selbst eine beachtliche Privatsammlung zusammen, in der Munchs Drucke einen wichtigen Teil ausmachten.
Nach 1907 musste Munch den Verkauf seiner Graphiken selbst in die Hand nehmen. Es war damals von grossem Vorteil, mit einer «vollständigen» Sammlung von Drucken in bekannten öffentlichen und privaten Museen vertreten zu sein. Zugleich betonte Munch oft, dass seine Kunstwerke leichter zu verstehen seien, wenn man sie als Ganzes betrachtet. Munchs Graphiken waren nie dazu gedacht, in Alben oder Mappen in Lagern und Archiven versteckt werden. Die grossen, dekorativen Blätter sollten vorzugsweise wie Gemälde an der Wand hängen.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verlor Munch den Kontakt zum deutschen Markt. Der einzige deutsche Sammler, der während des Kriegs Werke von Munch erwerben konnte, war Carl Hudtwalcker, der eine Lebertranfabrik in Kristiania (dem heutigen Oslo) besass. Dadurch war es ihm möglich, die Werke direkt bei Munch zu erwerben und somit die Devisenbeschränkungen zu umgehen.
Als sich Europa nach dem Ersten Weltkrieg wieder für den Verkehr und grenzüberschreitende Kontakte öffnete, gab es eine grosse Nachfrage nach Ausstellungen mit Werken von Edvard Munch. 1922 zeigte eine grosse Ausstellung im Kunsthaus Zürich mehr als 400 Graphiken mit vielen Leihgaben aus deutschen Museen sowie aus den Sammlungen von Schiefler, Glaser und Hudtwalcker.
In den 1920er- und 1930er-Jahren traten neue bedeutende Sammler von Munchs Graphiken auf, darunter Paul Rauert und Arnold Budczies in Deutschland, die umfangreiche Sammlungen aufbauten. Rückblickend muss man gestehen, dass diese Sammlungen etwas übergangen wurden. Erst in jüngster Zeit konnten Forscher Rauert als den ehemaligen Besitzer der grossen Graphiksammlung ausgewiesen, die 1939 bei City Auction in Oslo versteigert wurde. Der Name Budczies ist hingegen bis heute ein gut gehütetes Geheimnis geblieben, obwohl Blätter aus seiner Sammlung durchaus in Ausstellungen zu sehen waren ‒ am umfassendsten 1970 in der Kunsthalle Bremen.
Der Rechtsanwalt und Bankier Arnold Budczies war bereits in jungen Jahren ein Anhänger expressionistischer Kunst. Sein Interesse an moderner Kunst zeigte eine Seite seiner Persönlichkeit, die man von ihm in seiner täglichen Arbeit als Rechtsanwalt und als langjähriges Mitglied des Vorstands der Deutschen Reichsbank nicht gewohnt war. Budczies betätigte sich selbst künstlerisch und war mit mehreren deutschen Künstlern befreundet. Wann genau er sich für Munchs Kunst zu interessieren begann, ist nicht geklärt, vermutlich hat er jedoch in den 1920er-Jahren mit dem Aufbau seiner Graphiksammlung begonnen. Bis zum Ausbruch des Krieges konnte er eine Sammlung aufbauen, die sowohl quantitativ als auch qualitativ zu den grössten und bedeutendsten Sammlungen von Munch-Graphik gehört. Budczies traf Munch ein einziges Mal im Jahr 1936, als er mit Hudtwalcker in Norwegen den Künstler Rolf Nesch besuchte. Nesch hatte drei Jahre zuvor Deutschland verlassen und sich in Munchs Heimat niedergelassen. Auch Neschs Graphiken waren in Budczies’ Sammlung gut vertreten. Auf seiner Norwegenreise sah Budczies zudem Munchs Dekorationen in der Aula der Universität Oslo. In einem Brief an seinen Freund Carl Hagemann schrieb er, dass diese bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen hätten, und fügte an: «Wer diese Bilder nicht gesehen hat, der kennt Munch nicht.»
Im Jahr 1931 trat Budczies in den Ruhestand und hatte somit mehr Musse, sich seiner eigenen künstlerischen Arbeit und dem Kunstsammeln zu widmen. Dies geschah jedoch zu einer Zeit, in der die Bedingungen für moderne Kunst in Deutschland immer schwieriger wurden. Munchs Werke wurden schliesslich in deutschen Museen und Sammlungen als unerwünscht erklärt, und das Sammeln seiner Kunst wurde zu einer kontroversen Angelegenheit. Das Gleiche galt für die Kunst des deutschen Expressionismus. Trotzdem behielten es sich einige Sammler, darunter Arnold Budczies, vor, genau diese Kunst weiterhin zu sammeln. Es überrascht kaum, dass diejenigen, die Munch förderten, auch die moderne deutsche Kunst unterstützten. Der Kauf dieser Werke trug nicht nur dazu bei, die Künstler zu unterstützen, sondern sorgte auch dafür, dass ihre Werke für die Nachwelt erhalten blieben.
Budczies konnte die Drucke nicht, wie die hier bereits erwähnten Sammler, direkt von Munch beziehen, sondern war auf Auktionen und Kunsthändler angewiesen. In den 1930er-Jahren kam eine grosse Anzahl von Munchs Graphiken auf den Markt, da frühere Sammlungen aus den unterschiedlichsten Gründen aufgelöst wurden.
Heinrich Stinnesʼ Sammlung europäischer Druckgraphik, in der sich auch viele Blätter von Munch befanden, umfasste bei seinem Tod im Jahr 1932 ungefähr 200 000 Exemplare. Die gesamte Sammlung wurde schliesslich verkauft, wobei Budczies 41 Drucke von Munch erwarb. Meistens sind die Blätter mit dem typischen Stempel von Stinnes versehen und daher leicht zu identifizieren.
Als Curt Glaser 1933 aufgrund seiner jüdischen Abstammung seinen Direktorenposten an der Kunstbibliothek aufgeben musste, verliess er Deutschland und veräusserte einen grossen Teil seiner Privatsammlung. In der Sammlung von Budczies sind 42 Blätter aus dem Besitz von Curt Glaser registriert.
Unter den Tiefdrucken aus diesen zwei Sammlungen befindet sich eine auffallende Anzahl von frühen Abzügen, experimentellen Drucken und Zuständen, die Schiefler bei der Erstellung seines Katalogs nicht bekannt waren. Aus der Sammlung von Stinnes stammen auch einige spätere Graphiken, darunter Lithographien und Holzschnitte aus der Zeit von 1930, von denen viele von Munch selbst gedruckt worden waren. Die Sammlung Budczies umfasst zudem einige seltene Mehrfarbendrucke, zum Beispiel den Holzschnitt Der Kuss I aus dem Jahr 1889, die Lithographie Trennung II von 1896 und sechs von acht Schabkunstblättern, die Munch 1896/1897 in Paris drucken liess. Die Sammlung enthält auch eine vollständige Linde-Mappe, was sehr selten ist.
Budczies starb im November 1943, nur zwei Monate vor seinem Zeitgenossen Edvard Munch. Budcziesʼ Frau Else schrieb Munch im Namen ihres Mannes einen Brief, in dem sie ihm zu seinem 80. Geburtstag am 12. Dezember gratulierte. Darin versicherte sie ihm, dass die Kunstsammlung trotz der durch die Bombenangriffe verursachten schweren Schäden an ihrem Berliner Haus in Sicherheit sei. Nach Angaben der Familie wurde die Sammlung in ein Bauernhaus in Oberbayern evakuiert, wo sie auf dem Dachboden des Haupthauses gelagert wurde und den Krieg unversehrt überstand.
Obwohl diese fast hundert Jahre alte Sammlung nun aufgelöst wird, werden die Blätter hoffentlich ein gutes Zuhause in privaten und öffentlichen Sammlungen finden, wo sie auch in Zukunft für Ausstellungen und Forschung zur Verfügung stehen werden.
Arnold Budczies (1866–1943) war ein bedeutender deutscher Kunstsammler, der sich insbesondere der modernen Graphik und der expressiven Malerei verschrieben hatte. Ursprünglich ausgebildet als Jurist, bekleidete er hohe Ämter im öffentlichen Dienst, unter anderem als Direktor der Reichsbank und Geheimer Finanzrat. Trotz seiner beruflichen Verpflichtungen widmete er sich mit grosser Leidenschaft der Kunst, nicht nur als Sammler, sondern auch als Förderer und gelegentlich selbst als künstlerisch tätiger Graphiker.
Seine Sammelleidenschaft entwickelte sich aus einem tiefen Interesse an künstlerischem Ausdruck, besonders an Werken des Expressionismus. In den 1930er-Jahren pflegte er intensive Kontakte zu Galeristen, Künstlern und anderen Sammlern, genannt seien etwa Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) in Davos oder Carl Hagemann (1867–1940) in Frankfurt am Main. Zusammen mit dem Hamburger Sammler Heinrich Carl Hudtwalcker (1880–1952) besuchte er über die Ostertage 1936 den Künstler Rolf Nesch (1893–1975) in Norwegen und machte dabei auch bei Edvard Munch halt. Arnold Budczies war mehr als ein Sammler, er war ein Kenner und Förderer der Kunst, der nicht nur Werke hortete, sondern aktiv an deren Zirkulation und Wertschätzung beteiligt war. Nach seiner Pensionierung im Jahr 1931 konnte er sich intensiver dem Sammeln widmen, man sieht das auch an den vermehrten Ankäufen.
Die frühesten Käufe von Munch-Graphik, die Budczies tätigte, sind nicht dokumentiert. Erst ab 1928 begann der Sammler zu notieren, wo und wann er die Werke ankaufte. Die Aufzeichnungen sind jedoch nicht abschliessend und unvollständig. Die am frühesten gesichert dokumentierten Ankäufe tätigte Budczies 1928 bei Ferdinand Möller und Max Perl in Berlin sowie im Graphischen Kabinett München. Werke, die nicht eindeutig zugeordnet werden können, wurden daher wohl vor 1928 erworben.
Der Sammler besuchte Verkaufsausstellungen bei Ferdinand Möller in Berlin, dem Graphischen Kabinett in München, der Galerie Commeter in Hamburg oder Nierendorf in Berlin und kaufte ganze Konvolute zusammen. Er nahm auch an Auktionen bei Max Perl und Paul Graupe in Berlin, C.G. Boerner in Leipzig, Commeter in Hamburg, und Gutekunst und Klipstein in Bern teil. Über Vermittler wie Carl Meder in Berlin kam er zu besonderen Stücken aus der Sammlung von Heinrich Stinnes, bei Emil Hirsch in München zu Werken aus der Sammlung Harry Graf Kessler. Er erwarb auch direkt Graphiken von William Cohn. Eines der grössten Konvolute erstand Budczies am 19. Mai 1933 an der Auktion bei Max Perl in Berlin aus der Sammlung von Curt Glaser. Mit den Erben Glaser konnte eine faire und gütliche Einigung für die 42 dort erworbenen Graphiken getroffen werden, sie sind daher nun frei von jeglichen Ansprüchen. Die Erben Glaser verpflichteten sich zudem, nach der Auktion die Ergänzung der Eintragung der betroffenen Werke in der Lost Art-Datenbank um den Hinweis auf die erzielte gütliche Einigung zu veranlassen.
Die Munch-Sammlung ist in ihrer Einzigartigkeit ein bedeutendes Zeitdokument. Dank den beherzten Ankäufen in den 1930er-Jahren überdauerten die Werke das Dritte Reich, das Munch 1937 als «entarteten» Künstler einstufte. Die absoluten Seltenheiten waren die letzten Jahre auch immer wieder in wichtigen Munch-Ausstellungen zu sehen.
Die Witwe des Sammlers, Else Budczies, schrieb am 14. Dezember 1943 einen Brief an Edvard Munch, um ihm zum 80. Geburtstag zu gratulieren. Der Brief endet mit «Mein Mann gehörte ja den wenigen Sammlern an, die selber diese Kunst ausüben, und ist dieser, Ihrer Tradition bis zu seinem Tode im 78. Lebensjahre treu geblieben. Er hinterlässt eine grosse Grafiksammlung auch von Ihrem Werken, die aber sicher aufgehoben ist. Das wollte ich Ihnen noch mitteilen.» Die Sammlung blieb für über 80 Jahre in derselben Familie. Mit der Zeit entstand der Wunsch, dass die Werke nun in neue Hände übergehen sollen. Wir sind geehrt, dass das in Bern geschehen kann, wo Arnold Budczies im Juni 1938 einige Graphiken aus der ehemaligen Sammlung Heinrich Stinnes erworben hatte.