Passion for Paper
Die Sammlung Eberhard W. Kornfeld war eine der bedeutendsten europäischen Privatsammlungen moderner und klassischer Kunst mit einem einzigartigen Fokus auf Werke auf Papier. Einige Highlights dieser Sammlung werden im vorliegenden Sonderkatalog «Passion for Paper» zum Verkauf angeboten. Die Arbeiten auf Papier spiegeln nicht nur einen Sammlungsschwerpunkt wider, sondern auch die lebenslange Hingabe Kornfelds an die Feinheiten, Möglichkeiten und Ausdrucksformen von Werken auf Papier als künstlerisches Medium. Im Zentrum seiner Leidenschaft stand stets die Überzeugung, dass Zeichnung, Aquarell, Gouache und Druckgraphik nicht bloss vorbereitende Studien oder Nebenformen der Malerei sind, sondern eigenständige, intime und oft sogar experimentelle Ausdrucksformen, die tiefere Einblicke in den kreativen Prozess ermöglichen. Kornfeld war eben nicht nur Händler, er war vor allem auch Sammler – und zwar ein enzyklopädischer. Besonders bestechend war die Vielzahl von Zeichnungen, die nicht nur technische Virtuosität zeigen, sondern auch als Zeugnisse künstlerischer Intuition gelten.
Kornfeld trat im Januar 1945 als Volontär in die Firma von Dr. August Klipstein in Bern ein. Die Legende besagt, dass er mit dem Fahrrad aus Basel nach Bern gefahren sei. Schwankend zwischen einem Engagement im Bereich der Numismatik oder der Kunst wurde damit Kornfelds Weg in Richtung Kunsthandel vorgezeichnet. Die 1864 in Stuttgart gegründete Firma begann als Handlung von Graphiken und Handzeichnungen alter Meister, nahm dann auch die neuere Kunst bis hin zum «zeitgenössischen» Expressionismus in die Kataloge auf. Klipstein war ein grosser Förderer etwa von Ernst Ludwig Kirchner oder Käthe Kollwitz. Kornfeld sog die neue Welt förmlich auf. Die grosse Expertise für Arbeiten auf Papier in der Firma war weitherum bekannt. Und Kornfeld war ein äusserst gelehriger Mitarbeiter und Schüler, sodass ihm Klipstein immer mehr Projekte übertrug und ihn im Frühjahr 1948 schliesslich fest anstellte. In den Sommermonaten besuchte Kornfeld jeweils Kupferstichkabinette, etwa in Basel, Paris, London oder Amsterdam und bildete sich dabei autodidaktisch weiter. Im Juni 1949 fand die Auktion alter Handzeichnungen, primär holländische und flämische, des 1938 verstorbenen Sammlers Maurice Delacre statt. Das Manuskript des Katalogs stammte von Kornfeld; es war faktisch sein erstes «Gesellenstück», für das er allein verantwortlich zeichnete. Holländische Handzeichnungen waren denn auch die erste Passion des jungen Sammlers. Einige Arbeiten aus der Auktion Delacre fanden damals Eingang in Kornfelds Sammlung. Ein grosser Teil dieser Handzeichnungen wurde 2024 in der Auktion «Graphik und Handzeichnungen Alter Meister» in unserem Haus verkauft. Nach dem überraschenden Tod ihres Mentors und Chefs Dr. August Klipstein im April 1951 übernahmen Frieda Schuh und Eberhard Kornfeld zusammen mit der Familie Klipstein das Geschäft. Nach einigen Jahren wurde Kornfeld alleiniger Geschäftsführer, erwarb in der Folge sukzessive die Mehrheit und führte die Firma schliesslich ab 1972 als Kommanditgesellschaft unter seinem eigenen Namen.
Über viele Jahrzehnte hinweg war es ausschliesslich Kornfeld, der hunderte von Auktionskatalogen im Alleingang verfasste. So gingen in all den Jahrzehnten praktisch alle Kunstwerke im Haus durch seine Hände. Da er über ein einzigartiges Bild- und Materialgedächtnis verfügte, wurden alle Nuancen und Abweichungen sofort memorisiert. Es gab wohl nur wenige Kunsthändler, die annähernd so viele Werke in den Händen hielten, wie Kornfeld in seinem langen Händler- und Sammlerleben. Rechnet man seine publizierten Auktions-, Lager- und Ausstellungskataloge sowie alle nicht in die Auktion aufgenommen Werke zusammen, so waren es mehrere 100 000 Stück, die er aus nächster Nähe auf ihre «Importanz» hin begutachtete. Sein eindrückliches und fundiertes Wissen machte ihn schnell zu einem weit herum respektierten «Scholar-Dealer», einem Händler also, der als wandelndes Kunstlexikon und mit einem immensen Wissens- und Erfahrungsschatz seinem Metier mit höchster Kennerschaft nachging. Kornfelds Sammlung umfasste ein breites Spektrum: Von Graphiken und Handzeichnungen alter Meister wie Rembrandt und Goya über die französischen Impressionisten und Postimpressionisten bis hin zur klassischen Moderne und Nachkriegskunst war alles vertreten. Kunstwerke von Künstlern wie Chagall, Degas, Giacometti, Kirchner, Klee oder Picasso führen einen facettenreichen Dialog über Jahrhunderte der Kunstgeschichte hinweg.
Kornfeld wollte sein enzyklopädisches Wissen auch mit anderen teilen. So verlegte und verfasste er epochale Werkverzeichnisse der Druckgraphik und setzte damit neue Standards. Alles begann mit Paul Klee, es folgten Marc Chagall, Paul Gauguin und Alberto Giacometti. Im hauseigenen Verlag erschienen ebenfalls die Standardwerke zur Graphik von Pablo Picasso, Ernst Ludwig Kirchner und Käthe Kollwitz. Das Publizieren der Werkverzeichnisse führte dazu, dass Kornfeld noch mehr sammelte: Er kaufte Raritäten, sammelte auf Vollständigkeit und erwarb Folgen oder Druckzustände.
Er war aber nicht nur Auktionator und Publizist, sondern pflegte als Galerist und Händler auch enge, freundschaftliche und wirtschaftliche Kontakte zu Kunstschaffenden seiner Zeit: Marc Chagall, Sam Francis, Alberto Giacometti, Joan Mitchell, Pablo Picasso, Niki de Saint-Phalle oder Jean Tinguely seien stellvertretend für viele andere genannt. Und auch diese Freundschaften hinterliessen ihre Spuren in seiner Sammlung. Er entwickelte über Jahrzehnte ein weitreichendes Netzwerk zu Kunstschaffenden, Sammelnden und Museen weltweit. Der Schwerpunkt lag dabei immer auf Arbeiten auf Papier, die unmittelbarer, roher und oft unverfälschter waren als Gemälde. Die Auswahl dieser Werke war Ausdruck seines persönlichen, untrüglichen Blicks für Qualität. Kornfeld war nicht bloss Sammler, sondern vielmehr ein Vertrauter der Kunst. Diese Nähe zeigt sich eben gerade besonders bei Arbeiten auf Papier. Sie sind häufig kleinformatiger, intimer, oft datiert, signiert oder sogar mit persönlichen Widmungen versehen. Die Betrachtenden treten hier in einen unmittelbaren Dialog mit dem Künstler.
Diesen eindrücklichen Dialog macht der vorliegende Katalog «Passion for Paper» faktisch sichtbar und die besondere Beziehung zwischen Medium, Künstler und Sammler direkt erfahrbar. Wenige ausgewählte museale Stücke verschenkte er an Museen, die anderen sollten nicht in einem Museumsdepot verschwinden. Es war sein Wunsch, dass seine in über 70 Jahren zusammengetragene Kollektion eklektischer Kunstwerke nach seinem Tod in neue Sammlungen aufgeht. Er wünschte sich die Werke bei Menschen, die die Kunst ebenso sehr lieben und schätzen, wie er es in seinem langen, reichen Leben selber getan hatte. Wir danken der Familie Kornfeld für das grosse Vertrauen in unser Haus, das wir im Sinne «Ebis» in die Zukunft führen werden.