Galerie Kornfeld 100 Jahre in Bern, 2020

6 eigenen, sehr erfolgreichen Geschäft mitten in Londons Kunsthandel Quartier an der Grafton Street tätig gewesen. Beim Kriegsausbruch 1914 weilte er mit seiner Fami- lie in der Schweiz in den Ferien. Da er Deutscher geblieben war, blieb ihm eine Rückkehr nach England verwehrt. Und es kam noch schlimmer: Sein in London verbliebener Besitz, die Galeriebestände und seine umfangreiche Privatsammlung, wurde von England mit Sequester belegt. In einem Londoner Vorstadtkeller liess die englische Regierung im Dezember 1920 unter dem Titel «In re R. Gutekunst – By order of the Public Trustee – Trading with the Enemy» alles durch ein kleines Aukti- onshaus versteigern, u.a. 71 hochkarätige Radierungen und Kaltnadelarbeiten von Rembrandt. Frits Lugt hat der Sammlung in seinem 1. Band der «Marques de coll- ections» ein Denkmal gesetzt. Es gab schon 1920 frühe Formen von «Raubkunst»… Richard Gutekunst trat nach 1914 in eine Partnerschaft mit dem Auktionshaus F.A.C. Prestel in Frankfurt amMain ein, wo er sich mit August Klipstein befreundete, der nach seiner Promotion in Bern ebenfalls dort tätig war. Die beiden beschlossen, 1919 eine gemeinsame Firma zu gründen. Da August Klipstein mit einer Bernerin verheiratet war, entschieden sie sich nach den Kriegswirren für Bern in der vom Krieg verschonten Schweiz, um dort die schönen Zeiten in Stuttgart und in London wieder aufleben zu lassen. 1919 wurde die Firma «Gutekunst und Klipstein» ins Handelsregister eingetragen, 1920 gingen die Eröffnungsanzeigen in alle Welt und noch im gleichen Jahr erschien der erste Lagerkatalog. In der beschaulichen Altstadt hatte man an der Hotelgasse 8, in unmittelbarer Nähe des Zeitglockenturms, schöne Räume bezogen. Die Firma konnte sich rasch einer erfreulichen Prosperität erfreuen, man knüpfte an die alten Beziehungen mit Stuttgart, London und Frankfurt am Main an. Die Lager- kataloge der zwanziger Jahre boten eine Fülle von Kostbarkeiten an, vor allem auf dem Gebiet der alten Graphik. Richard Gutekunst pflegte weiterhin seine guten Kontakte zu englischen Künstlern um die Jahrhundertwende, durch August Klipstein wurde nun auch deutsche, französische und Schweizer Kunst der Gegenwart berück- sichtigt. So wurde 1921 ein erstes Mal Hodler gezeigt, 1922 folgte Welti und dann ab 1924 Werke von Bonnard, Degas, Matisse, Munch, Picasso, Pissarro, Renoir, Toulouse-Lautrec oder Utrillo. In seinem sechzigsten Lebensjahr entschied sich Richard Gutekunst 1928 aus dem aktiven Geschäftsleben auszuscheiden. Gerade noch zur rechten Zeit, denn die Weltwirtschaftskrise von 1929 traf auch die Firma sehr hart. Nach dem Ausscheiden von Richard Gutekunst assoziierte sich August Klipstein mit dem in der Schweiz lebenden Sammler Carl O. Schniewind, der zu den guten Kunden gehört hatte. Die Verbindung war jedoch nur von kurzer Dauer, Schnie- wind übersiedelte nach Paris, dann nach New York und wurde schliesslich «Curator of Prints and Drawings» im Brooklyn Museum. Daran schloss sich nach 1946 die lange dauernde, äusserst erfolgreiche Tätigkeit als Chef des «Department of Prints and Drawings» im Art Institute in Chicago an. 1929 trat Frida Schuh in die Firma ein und blieb dem Hause bis in die späten fünfziger Jahre verbunden. Mit dem Umzug der Firma in neue, grössere Räume an der Amthausgasse 16 Anfang der 1930er Jahre wurde 1934 auch die Auktionstätigkeit wieder aufgenommen und damit an die alte Stuttgarter Tradition angeknüpft.

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