Auktion 286 : 100 Ausgewählte Kunstwerke 12.09.2025

1981. Acryl auf ungrundierter Baumwolle. 257×391 cm. Die untere rechte und linke Ecke mit minimen Farbabreibungen. Farbfrisch und in tadellosem Gesamtzustand. Schätzung CHF 3300000 * Werkverzeichnis Im Werkverzeichnis des Archivs Franz Gertsch unter der Nummer WV00049 eingereiht Provenienz M. Knoedler Gallery, Zürich Louis K. Meisel Gallery, New York, dort erworben von Slg. Neil Weisman, New York Privatsammlung, New York Literatur Jean-Luc Daval, La Photographie. Histoire d’un Art, Paris 1982, S. 227 Dieter Ronte, Franz Gertsch, Bern 1986, mit Werkkatalog der Gemälde ab 1969, S. 133 Louis K. Meisel, Photorealism since 1980, New York 1993, S. 222 Angelika Affentranger-Kirchrath, Franz Gertsch, Die Magie des Realen, Bern 2004, S. 113/115 Reinhard Spieler unter Mitarbeit von Samuel Vitali, Franz Gertsch Retrospektive, Ostfildern-Ruit 2005, Kat. Nr. 49, S. 254 Rainer Michael Mason, Franz Gertsch. Werkbuch 1934–2022, Rüschegg 2023, Kat. Nr. 89 Kathleen Bühler, Arcane Beauty, in: Pol Erik Tøjner, Kirsten Degel, Drik Luckow u.a., Franz Gertsch. Blow-Up, Ausstellungskatalog zur Ausstellung im Louisiana Humlebæk und in den Deichtorhallen Hamburg, Humlebæk 2024, S. 66ff. Ausstellungen New York 1981, Louis K. Meisel Gallery, Franz Gertsch – Major Works Wien/Basel 1986, MuseumModerner Kunst/Kunsthalle Basel, Franz Gertsch Franz Gertsch zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Foto­ realismus. Seine grossformatigen Porträts aus den 1970er- und 1980er-Jahren zeichnen sich durch eine radikale Hinwendung zur Wirklichkeit aus, die zugleich über das blosse Abbild hinausweist. Mit Akribie übertrug er fotografische Vorlagen in monumentale Acrylgemälde, wobei er die ursprünglichen Bilder in einem zeit­ intensiven Prozess durch Rasterungen, Farbschichtungen und detailgenaue Malerei in ein neues Medium transformierte. Das Hauptwerk dieser Schaffensphase ist wohl das 1981 entstan- dene Gemälde «Tabea». Nach Irène Staub (vgl. Los 129) war Tabea Blumenschein (1952–2020) das zweiteModell für ein grosses Frau- enporträt. Die Schauspielerin und Künstlerin wurde ab Mitte der 1970er-Jahre zu einer zentralen Figur der Berliner Underground- und queeren Filmkultur. Besonders prägend war ihre Zusammen- arbeit mit der Filmemacherin Ulrike Ottinger. Es war anscheinend der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann, der Franz Gertsch auf Blumenschein aufmerksam machte, nachdem er Ottingers Film «Bildnis einer Trinkerin» (1979) mit der Schauspiele- rin gesehen hatte. Der Künstler Luciano Castelli führte Gertsch dann in Berlin zu jenem Restaurant, in dem Blumenschein den Abend verbrachte. Dort konnteGertsch eine Fotografie der Schau- spielerin vor einer Backsteinwand machen. Das Foto zeigt eine leicht irritierte, distanzierte, fast ein wenig genervte Blumenschein, die bewusst nicht in die Kamera schaut. ImGegensatz zu den ande- ren Frauenporträts, die vor einem neutralen Hintergrund und in zurückhaltender Kleidung geschaffen wurden, ist der Hintergrund bei «Tabea» voll ausgestaltet und die Backsteinwand liegt in einem spannenden Licht-Schatten-Spiel. Die auffällige Schminke und der opulente Goldschmuck sind einmalig für alle anderen grossen Porträts von Gertsch. Gertsch schuf 1981 noch eine farbige Litho- graphie (Mason 1991, Nr. 2) und eine Gouache auf Papier («Tabea III») mit demselben Modell. Die Darstellung wirkt auf den ersten Blick verblüffend fotografisch exakt. Doch Gertschs Malweise enthüllt sich in subtilen Ober­ flächenspannungen, feinsten Farbmodulationen und einer eigen- tümlichen Verdichtung desMoments. Die Zeit scheint imBild förm- lich stillzustehen. Die fotorealistische Technik erzeugt eine frappierende Präsenz, doch das Werk bleibt offen und fordert den Blick heraus, ohne sich preiszugeben. Gertsch gelingt es eindrücklich, die scheinbare Objektivität der Fotografie mit der Subjektivität malerischer Wahrnehmung zu ver- binden. In «Tabea» verschmelzen Abbild und Kunstform, Realität und Imagination. Es ist diese einzigartige Spannung, die seinen Porträts eine nachhaltige, fast meditative Wirkung verleiht. Das Gemälde befand sich viele Jahre lang in einer Privatsammlung in den USA und wurde nicht mehr ausgestellt. Dass es nun nach lan- ger Zeit wieder auf den Markt kommt, ist eine Sensation. Das Gemälde gilt als eines der Hauptwerke des wichtigen Schweizer Künstlers. Wir danken der Familie Gertsch für die wertvollen Hinweise zu diesem Werk. 130 Franz Gertsch Mörigen 1930–2022 Riggisberg Tabea

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