Auktion 285 : Ausgewählte Arbeiten auf Papier aus der Sammlung Eberhard W. Kornfeld 12.09.2025

1913. Gouache und Tusche auf Papier, von Chagall und Nell Walden 1914 imHinblick auf die Berliner Ausstellung auf zwei farbige Papiere aufgelegt. 34,5×23,9 cm, Blattgrösse; braunes Papier 42,2×26,2 cm; schwarzes Papier 45,7×29,3 cm. Unten rechts vomKünstler in Tinte signiert und datiert «Chagall/ [1]913». Die Farbschicht mit einzelnen kleinen retouchierten Farbausbrüchen, insbesondere im unteren Rand sowie demunteren Teil des weissen Farbfeldes. Alle vier Ecken mit Reissnagellöchern. Die Ränder des braunen Hintergrundpapiers mit Fehlstellen und kleinen Rissen, insbesondere in den unteren Ecken. Das schwarze Hintergrundpapier mit einem Riss im rechten Rand oben. In gutemErhaltungszustand und originaler Präsentation Schätzung CHF 200000 * Werkverzeichnis Echtheitsbestätigung (Nr. 2025095) des Comité Marc Chagall, Paris, datiert vom 3. Juli 2025, liegt vor Provenienz Herwarth Walden, Berlin, 1914 Slg. Nell Walden, Schinznach/Bern Slg. Eberhard W. Kornfeld, Bern, rückseitig auf der Unterlage mit dem Sammlerstempel, Lugt 913b Literatur Pierre Schneider, Chagall à travers le siècle, Suivi d’une biographie de l’artiste par Meret Meyer, Paris 1995, Abb. S. 35 Jacob Baal-Teshuva, Marc Chagall, Köln 1998, Abb. S. 67 Karoline Hille, Marc Chagall und das deutsche Publikum, Köln/ Weimar/Wien 2005, S. 52f Ausstellungen Berlin 1914, Galerie Der Sturm, HerwarthWalden, MarcChagall, mit der handschriftlichen Ausstellungsnummer «50» auf der schwarzen Unterlage Berlin 1917, Galerie Der Sturm, Herwarth Walden, Marc Chagall, Kat. Nr. 57, verso mit Ausstellungsetikett Zürich 1970–1971, Galerie Kornfeld, Eröffnungsausstellung, Kat. Nr. III, dort betitelt «Baigneuse jaune debout – Gelbe Frau» Marcq-en-Barœul 1975, Hommage àMarcChagall, Kat. Nr. 19, dort betitelt «Baigneuse jaune», mit falscher Abbildung Paris 1984, Centre Georges Pompidou, Marc Chagall, Œuvres sur papier, Kat. Nr. 22 Rom 1984/1985, Musei Capitolini, Marc Chagall, Kat. Nr. 22 Hannover/Zürich 1985, Kestner-Gesellschaft/Kunsthaus, Marc Chagall, Arbeiten auf Papier, Kat. Nr. 22 Bern 1989, Kunstmuseum, Von Goya bis Tinguely, Aquarelle und Zeichnungen aus einer Privatsammlung [Slg. EberhardW. Kornfeld], Kat. Nr. 112 MexicoCity 1991/1992, CentroCultural ArteContemporaneo, Cha- gall en nuestro siglo, Kat. Nr. 103 Mailand 1994, Fondazione Mazzotta, Il disegno del nostro secolo, Kat. Nr. 32 Paris 1995, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, MarcChagall, Les années russes, 1907–1922, Kat. Nr. 90 Bern 1995/1996, Kunstmuseum, Chagall 1907–1917, Kat. Nr. 163 Davos 1998/1999, Kirchner Museum, Werke aus der Sammlung Eberhard W. Kornfeld, Kat. Nr. 43 Madrid 2003, Fundación Juan March, Espíritu de modernidad: de Goya a Giacometti, Obra sobre papel de la colección Kornfeld, Kat. Nr. 42 Madrid 2006, Fundación Coleccion Thyssen-Bornemisza, Vangu- ardias Rusas, Kat. Nr. 37 Rom 2007, Complesso del Vittoriano, Chagall delle meraviglie, S. 314 Wien 2008/2009, Albertina, Wege der Moderne, Aus der Sammlung Eberhard W. Kornfeld, Kat. Nr. 50 Zürich/Liverpool 2013, Kunsthaus/Tate, Chagall, Meister der Moderne, Kat. Nr. 29 (nur in Zürich ausgestellt) Basel 2017/2018, Kunstmuseum, Chagall, Die Jahre des Durch- bruchs 1911–1919, Kat. Nr. 48 Im Jahr 1914 zeigte Marc Chagall in der renommierten, von Her- warth Walden geleiteten Berliner Galerie Der Sturm seine erste Einzelausstellung in Deutschland. Diese Ausstellung war ein Mei- lenstein in Chagalls früher Karriere und zugleich ein bedeutendes Ereignis in der europäischen Kunstszene vor demErstenWeltkrieg. Rund 200Werke wurden ausgestellt, darunter Gemälde, Aquarelle, Gouachen und Zeichnungen. Sie zeigten Motive aus Chagalls Kindheit und Jugend in Witebsk. Szenen des Alltagslebens, religi- öse Rituale, Hochzeiten, Tiere, Häuser und fliegende Figuren ver- banden sich darin mit traumartigen Elementen zu einer eigenen, poetischen Bildsprache. In seiner Malweise vereinte Chagall Ele- mente des Fauvismus und Kubismus mit einem tief verwurzelten Symbolismus, wobei die starke Farbigkeit und formale Verfremdung seine expressive Ausdruckskraft unterstrichen. Die Galerie Der Sturm war zu dieser Zeit ein bedeutender Ort für die Avantgarde. Künstler wie Wassily Kandinsky, Franz Marc, Paul Klee oder Oskar Kokoschka hatten hier bereits ausgestellt. Her- warth Walden erkannte früh das Talent Chagalls und förderte ihn gezielt. Die Ausstellungwurde von der Berliner Kunstkritik zwar teils mit Skepsis aufgenommen, rief aber auch Bewunderung für Cha- galls originellen Stil hervor. Seine Bilder galten als tief emotional, fremd und gleichzeitig faszinierend. In Marc Chagalls Ausstellung bei der Galerie Der Sturm im Jahr 1914 kam ein ungewöhnliches Präsentationsmittel zum Einsatz: Viele der auf Papier ausgeführten Arbeiten wurden durch Nell Wal- den, HerwarthWaldens Ehefrau, auf ein oder zwei verschiedenfar- bige Unterlagenmontiert. Diese Hintergründe dienten nicht nur der ästhetischen Rahmung, sondern betonten gezielt die Leuchtkraft und Expressivität der Werke. Die oft kräftigen Farben wirkten kom- plementär oder kontrastierend zu Chagalls eigener Farbwahl und hoben zentrale Motive hervor. Zugleich spiegelte diese Präsentationsweise die avantgardistische Haltung der Galerie wider: Herwarth Walden suchte nach neuen Wegen der Kunstvermittlung, um die Eigenständigkeit moderner Kunst zu betonen. Die farbige Rahmung verlieh den oft kleinforma- tigen Arbeiten eine zusätzliche Präsenz im Ausstellungsraum und unterstützte Chagalls Anliegen, seine Bildwelt mit einer Raumer- weiterung als zugleich Modernes erfahrbar zu machen. Chagalls Figuren sind oft nicht porträthaft dargestellt, sondern sie werden zu Trägern von expressiven Gefühlen, Erinnerungen und Sehnsüchten. Die «gelbe Frau» könnte eine Braut, Geliebte oder Muse sein. Das Tuch, das sie in Händen hält, kann als stilisierte Chuppa gesehen werden, was eine Interpretation der Frau als zukünftige Ehefrau erlaubt. Werke aus der Sturm-Ausstellung kom- men nur noch sehr selten auf den Markt und gelten als wichtig für Chagalls künstlerische Entwicklung. Die Figur steht in einem frag- mentierten Farbraum; sei es im Leben oder auf der Bühne, von der Abstraktion mitgestaltet. 79 Marc Chagall Witebsk 1887–1985 Saint-Paul-de-Vence Femme jaune ou Nu debout

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