Auktion 281 : 125 Ausgewählte Werke 13.09.2024
1913. Illustrierter Buchdruck, handkoloriert imPochoir-Verfahren. 207,4×36,2 cm. Oben im Titel vom Schriftsteller signiert «Blaise Cendrars» und von der Künst- lerin «Sonja Delaunay». Nummeriert «42». Äusserst farbfrisch und in sehr guter Erhaltung. Schätzung CHF 125000 Provenienz Marc Loliée, Libraire, Paris, dort 1976 angekauft von Privatsammlung, Biel-Bienne, in Kommission an Buchantiquariat Daniel Thierstein, Bern/Biel, dort 2007 erworben von Schweizer Privatsammlung Als Sonia Delaunay-Terk im Januar 1913 bei Guillaume Apollinaire den bisher unbekannten Poeten Blaise Cendrars, eigentlich Fréderic Louis Sauser, ken- nenlernte, gehörte sie mit ihren «Contrastes simultanés» zusammen mit ihrem Künstlergatten Robert zu den Wegbereitern der Abstraktion. Sie wurden Freunde und begannen ein gemeinsames Kunstwerk, das erste «simultane» Künstlerbuch. Grundlage ist ein 445 Zeilen langes Gedicht von Cendrars über eine imaginäre Reisemit der jungen Prostituierten «Jehanne» in der Transsibirischen Eisenbahn quer durch Russland während der ersten Revolution 1905. Oben links ist eine Karte der Fahrt zu sehen. Die Reise führt vonMoskau nach Sibirien, China, zum Nordpol und schliesslich nach Paris. Der Text handelt von einer langen, bedrü- ckenden Fahrt mit apokalyptischen Szenen von Krieg und Revolution sowie Beschreibungen von Kälte, Hunger, Tod und Verwüstung. Die gebräuchliche Formeines gebundenen Buches wurde zugunsten einer Art langemBogen aufgegeben; die im «Pochoir-Verfahren» einzeln angebrachten, handkolorierten Illustrationen verlaufen parallel zumText, verflechten sich vie- lerorts mit ihm und schaffen so eine weitere Interpretationsebene. Sie sind abstrakt, nehmen jedoch den Text eindrücklich auf – erwähnt sei gegen Ende des Gedichts die Ankunft im «rettenden» Paris, das mit einem schemenhaft angedeuteten roten Eiffelturm eindrücklich eingeführt wird. Jedes Exemplar ist leicht anders koloriert und wird so zu einem Unikat. Das Werk ist ein frühes Beispiel für den gezielten Einsatz von mehreren, unterschiedlichen und farbi- gen Typographien (30 an der Zahl), um damit Stimmungen besser ausdrücken zu können. Der Text wurde auf vier Bogen gedruckt, die danach überlappend zusammen- geklebt wurden. Bei einer Gesamthöhe von etwas über 200 cm wäre die geplante Gesamtauflage von 150 Exemplaren zusammen so hoch gewesen wie der Eiffelturm, das Symbol des Fortschritts. Gefaltet ergab sich ein Format von ca. 17,5 × 10,5 cm. Imvorliegenden Fall wurde das Blatt gefaltet und in einen eigens gestalteten und bemalten Pergamentumschlag eingearbeitet. Das «Buch» war bei seinem Erscheinen eine Sensation in den Pariser Avant- gardekreisen und gilt bis heute als eines der wichtigsten modernistischen Künstlerbücher überhaupt. Von der geplanten Auflage von 150 wurden wohl aus Kostengründen nur 60 bis 100 komplett produziert, die meisten Exemplare befinden sich heute in öffentlichen Sammlungen. 128 Sonia Delaunay-Terk Gradischsk 1885–1979 Paris Blaise Cendrars. La Prose du Transsibérien et de la Petite Jehanne de France. Couleurs simultanées de Mme Delaunay-Terk Paris, Édition des Hommes Nouveaux, 1913 Pergamentumschlag Detail
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